Seit Ende 2005 steckt Walter Kastner als Generalsekretär des Österreichischen Schachbundes viel Leidenschaft und Herzblut in die Entwicklung des Verbandes, und das mit großem Erfolg. Nach einem ersten Abtasten am Schachbrett mit seinem Vater sollte ein Tennispartner in der Jugend für den Einstieg in die Welt des Schachs sorgen. Ein früher Kontakt mit dem damaligen ÖSB-Präsidenten Kurt Jungwirth ebnete in Folge den Einstieg in eine Funktionärskarriere.
In einem ausführlichen Interview gibt der Steirer einen detaillierten Überblick.
Viele Menschen kennen Schach, sind aber nicht so im Thema. Was ist die Faszination an dieser Sportart, die Sie seit so vielen Jahren begleitet?
Walter Kastner: Die Chancengleichheit und die Unendlichkeit. Als Spieler bewegt man sich innerhalb der vorgegebenen Regeln, taucht aber in der Fantasie in eine eigene Welt ein – das macht es einfach speziell. In einem Spiel tun sich unendlich viele Möglichkeiten auf. Man hat das Brett vor sich und könnte sich stundenlang damit beschäftigen, ohne dass es langweilig wird. Ein wichtiger Punkt für mich ist auch das Schulen einiger Kernkompetenzen. Ein Sportler muss rasch das Spiel aus der Sicht seines Gegners sehen, verstehen und lesen können – das Hilft auch im normalen Leben.
Was macht einen guten Schachspieler aus?
Kastner: Hier ist die Gedankenleistung entscheidend. Man muss auf die Struktur des Spieles und die Figurenstellung schauen, aber jeder Typ ist unterschiedlich. Die guten Spieler merken sich diese Struktur und vergleichen die Veränderungen gedanklich mit Spielen, die sie schon kennen. Manche rechnen und planen weit nach vorne, andere agieren intuitiv. Wichtig ist, dass man an den drei wichtigen Phasen – Öffnungsbereich, Mittelspielstruktur und das Endspiel – arbeitet. Nur wer alle drei Spielphasen beherrscht, ist ein kompletter Spieler. Faszinierend ist, wie die Großmeister über Spiele sprechen, bei denen sie im Vorbeigehen nur zwei Züge gesehen haben. Aber auch beim Simultanspiel (ein Star spielt beispielsweise gleichzeitig gegen 20 andere Spieler) sind enorme Fähigkeiten gefragt. Das gibt es natürlich auch als blindes Simultanspiel. Da werden die Züge angesagt und der Spieler muss sich das jeweilige Spiel merken. Wenn ich mich nicht täusche, liegt der Rekord bei 40 parallelbespielten Brettern. Das ist wirklich gewaltig. Das Problem ist dann meistens, wie schnell man die Spiele wieder aus dem Kopf bekommt.
In den letzten Jahren hat sich sehr viel getan. Wie würden Sie die Entwicklungen einordnen?
Kastner: Streng genommen hat es vor knapp 30 Jahren eine Revolution gegeben. Schach wurde digital. Für den Knackpunkt hat ein deutscher Programmierer gesorgt. Er hat eine entscheidende Lücke erkannt und ChessBase gegründet, entwickelt und ist in puncto Schach-Datenbank schnell zum Marktführer geworden. Jeder Spieler hat Zugang zu allen Spielen. Daten werden geliefert, ausgiebig analysiert und in das System eingespeist. Im Laufe der Jahre kamen dann noch die Computer dazu, die heutzutage stärker sind als die besten Menschen. Viele Personen nutzen das System, um sich selbst zu verbessern.
Das heißt aber, dass Schach als Sportart auch digitaler geworden ist?
Kastner: Das kann man so unterstreichen. Corona hat uns die Möglichkeit von eSport aufgezeigt. So konnten viele Veranstaltungen und Trainings im ersten Schritt durchgeführt werden, später ist man dann auf eine Hybrid-Lösung gegangen. Eine Nation hat seine Sportler an einem Ort im eigenen Land versammelt. Man ist dann gegen andere Länder angetreten, die sich ebenfalls an einem Ort versammelt haben. So hat man unter strenger Aufsicht eines Schiedsrichters bei jedem Team gegeneinander gespielt. Das hat sich definitiv bewährt. Wenn man beispielsweise an die Reiseproblematik bei Kontinentalmeisterschaften in Afrika denkt, ist das für die Länder ein Segen. Bei uns wird aktuell wieder mehr physisch am Brett gespielt, auch wenn international der Bereich eSport gerade richtig boomt. Der beste US-amerikanische Spieler, Hikaru Nakamura, hat einen hochdotierten eSports-Vertrag unterschrieben. Es gibt sogar eine eigene Online-Tour von Weltmeister Magnus Carlsen. Die 20-30 Top-Spieler der Welt haben sich damit ein zweites lukratives Standbein aufgebaut. Wenn man am Brett gut spielen kann, geht das auch online. Das ist der Vorteil unserer Sportart.
Demnach spielt auch Livestreaming eine wichtige Rolle?
Kastner: Das Internet ist vor vielen Jahren für unsere Sportart eine große Chance geworden. Seit 2002 übertragen wir alle Bundesligaspiele und die Staatsmeisterschaften. Dadurch konnten wir sehr viel Publikum dazugewinnen, auch wenn es nur in einem virtuellen Rahmen ist. Dabei werden die digitalen Bretter gezeigt, sodass man die Spiele umfänglich verfolgen kann. Wichtig ist, dass wir mit neuen Leuten in Berührung kommen – das hat sich über Jahre bewährt und uns in der Außendarstellung viel gebracht. Auch international laufen da mittlerweile richtige Shows mit hochkarätigen Kommentatoren ab.
Markus Ragger hat als Vorzeigeprofi eine entscheiden Rolle im Verband eingenommen. Welche Aufgabengebiete fallen in den Aufgabenbereich?
Kastner: Markus war und ist seit vielen Jahren das Aushängeschild des Schachsports in Österreich und hat als erster Österreicher die Elo-Zahl von über 2.700 überschritten. Im letzten Jahr hat er die Funktion eines Sportdirektors übernommen, seit heuer ist er auch Bundestrainer. Wir sind der Überzeugung, dass er mit seinen umfangreichen Erfahrungen unserem heimischen Nachwuchs helfen wird. Er ist zwar weiterhin noch als aktiver Spieler unterwegs, aber aufgrund der Doppelfunktion ist es klar, dass die eigenen Teilnahmen reduzierter sein werden. Er spielt noch in den verschiedenen internationalen Ligen und wir versuchen ihn weiter für Welt- und Europameisterschaften zu begeistern. Für uns hat Markus eine wichtige Rolle in unserem Entwicklungsprozess eingenommen.
Ist der Verband mit dem Nachwuchszulauf und der Entwicklung zufrieden?
Kastner: Im Grunde sind wir sehr zufrieden. Im Nachwuchs haben wir in den von 2015 bis 2022 insgesamt 34 Medaillen gewinnen können. Wir sind da sehr stolz auf die Erfolge, die uns natürlich auch bei der Sportförderung zusätzliche Mittel gebracht haben. Wo wir uns aber mehr wünschen würden, ist im Bereich der Mädchen – das ist nicht immer einfach. Wir haben im Verband eine sehr gute Jugendarbeit, das ist uns sehr wichtig und da legen wir den Fokus drauf. So wird beispielsweise in der Steiermark jährlich eine „Jugend-Olympiade“ mit 800 Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Ähnliches gibt es glücklicherweise auch in anderen Bundesländern. In der Steiermark war ein Schachspieler Landesjugendreferent, der für uns dort sehr viel geleistet hat. Wir sind da beispielsweise auch in der Schule sehr präsent. Das Event war somit das erste große Highlight nach dem ersten Semester, in dem die Kinder Erfahrungen mit dem Schach gesammelt haben. In Summe können wir in ganz Österreich positiv in die Zukunft blicken.
2021 wurde ein spezielles Schulprojekt gestartet. Können Sie uns da mehr erzählen?
Kastner: Wir haben in diesem Jahr gemeinsam mit den Mitropa-Ländern ein Erasmus Sport Plus probiert, wobei der ÖSB Lead-Partner war. Die Idee ist, Schach in die Schule zu bringen, und zwar so, dass es von Lehrern selbst unterrichtet werden kann. Das Ziel in diesem Konzept ist Begeisterung zu wecken und Kompetenzen zu vermitteln, nicht in erster Linie neue Sportler für Vereine zu gewinnen Es hat eine Studie gegeben, dass sich Kinder nachweislich durch Schach verbessert haben. So wurde beispielsweise statt einer Mathematikstunde, eine Schachstunde implementiert – die teilnehmenden Kinder haben von diesem Schachunterricht extrem profitiert und die positiven Effekte genutzt. Auch in Hinblick auf die Volkskrankheiten Alzheimer und Demenz ist es ein wichtiges Präventionsmittel. Da hat Schach nachweislich einen guten Impakt. Leider wurde das Projekt letztlich nicht gefördert und konnte daher nicht umgesetzt werden.
Nach der Premiere 2021 und einem Jahr Pause nimmt der Österreichische Schachbund im Juni zum zweiten Mal an den Sport Austria Finals powered by Intersport teil. Was sind Ihre Erwartungen?
Kastner: Bei unserer bislang einzigen Teilnahme 2021 hat es aufgrund der Pandemie noch spezielle Rahmenbedingungen gegeben. Somit war der Austausch unter den Verschiedenen Verbänden noch nicht so gegeben, wie man das gerne gehabt hätte. Im letzten Jahr ist es zu einer terminlichen Überschneidung gekommen, aber wir freuen uns schon sehr auf unser Comeback bei den Sport Austria Finals. Wir rechnen erneut zwischen 80 und 100 Athleten die in unseren zwei Bewerben (Anm.: Schnell- und Blitzschach) teilnehmen werden. Die Ausrichtung der Veranstaltung und die mediale Kraft einer Großveranstaltung ist für uns alle von großer Wichtigkeit und hat einen positiven Effekt.
Sie haben ja schon viel erlebt im Schach. Gibt es den klassischen schönsten/emotionalsten Moment?
Kastner: Das ist schwer zu beantworten. Auf persönlicher Ebene gibt es einige schöne Erlebnisse. Mein schönster Erfolg war wohl mein erster Grazer Stadtmeister in meiner Heimat. Das hatte ein besonderes Flair. Aber ich habe bei meinem Klub, den Schachfreunden Graz, viele tolle Momente genießen dürfen. In meiner Arbeit für den ÖSB ist der Gewinn des Mitropa Cups 2015 durch unser Herren Nationalteam bei der Heimveranstaltung in Mayrhofen als besonderes Highlight in Erinnerung..
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.